Monica Cantienis TAGEBUCH - 30. April

Das Aargauer Literaturhaus im Netz

Monica Cantieni (neu seit 20. April) und Peter Stamm schreiben für Sie/euch und uns ein Tagebuch - lesen Sie hier stets den neuen Tagestext.

Tagebuch von Monica Cantieni, Eintrag vom 30. April:

Ich habe keine direkte Leitung zum Bundesrat. Ich befürchte auch, dass mein Brief an die Bundespräsidentin nicht bei ihr persönlich landen würde, aber ich habe ihn nach der gestrigen Pressekonferenz schreiben müssen. Zumindest das.

Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin Sommaruga

Erst einmal möchte ich Ihnen und den Bundesrat danken für die geleistete Arbeit. Auch wenn mir mulmig war, dass nun 7 Menschen über 8,6 Millionen weitere bestimmen. Ich habe Ihnen vertraut. Ich bin dennoch froh, wenn es Ihnen möglich sein wird, sich aus der alleinigen Verantwortung wieder zurückzuziehen und freue mich diesbezüglich auf Ihre «Exit-Strategie», die Sie uns sicher bald präsentieren werden.

Ich habe die Pressekonferenz vom 29.4. mit Spannung erwartet und musste feststellen: Es gibt uns nicht. Uns, die Kulturschaffenden. Kultur ist «Bibliotheken und Museen». Wunderbare Institutionen, die weitgehend von Bund, Kanton und Städten finanziert werden.

Nach gestern möchte ich Sie fragen:

Wie sollen wir weitermachen? Wir Schriftsteller*innen, die Slampoet*innen, Musiker*innen, Schauspieler*innen, Bildende Künstler*innen, Filmschaffende, Fotograf*innen, Tänzer*innen, die Kunstschaffenden aller Sparten; die Kulturveranstalter*innen: Kinos, die Literaturhäuser, die Theater, die Kleinkunst- und Konzertbühnen, die Verlage, die Buchhandlungen.

Wir, für die es offenbar keine Lobby gibt, wir, für die sich niemand einsetzt, jedenfalls nicht spürbar. Wir, die wir kein ‘nennenswerter’ Wirtschaftsfaktor sind. Wir, die wir deshalb auch tatsächlich nicht genannt wurden. Wir, die kein Treffen mit Ihnen hatten wie der Gastroverband oder die Tourismusbranche. Noch nicht.

Wir, die wir selbständige oder partiell unselbständige Kleinunternehmen sind mit nationaler und internationaler Strahlkraft, manchmal mehr und manchmal weniger - wie jedes Unternehmen - deren Gewinne nicht so hoch sind, aber auch die Verluste nicht; jedenfalls werden diese kaum je sozialisiert. Wir, die wir ganz und gar zur Schweiz gehören in vier Sprachen, mindestens so sehr wie jene Fluggesellschaft, deren Eigentümer die deutsche Lufthansa ist. Wir, die wir übersetzt sind in viele Sprachen oder schlicht international verständlich; wir, die wir Sie in andere soziale Schichten, in andere Sphären tragen oder mit dem harten Boden diverser Realitäten konfrontieren, wie es nüchterne Zahlen nicht können; wir, die wir für eine internationale Anbindung der Schweiz an andere Länder sorgen; wir, die wir Exporteure sind.

Wir, die wir diplomatische Dienste leisten durch Austausch, durch Perspektivenwechsel. Wir,  die wir für Integration sorgen durch Neugier und Kooperation, durch Beschreibung der Welt durch Erfahrbarmachung derselben. Und schliesslich: Wir, die wir Ärzte ohne Grenzen sind und die Finger in Wunden legen und Sie ärgern oder zum Lachen bringen. Manchmal, so hoffe ich.

Sie als Musikerin, als konzerterfahrene Pianistin haben uns mit keinem Wort erwähnt.

Indem ich Ihnen schreibe, möchte ich Ihrem Schweigen und dem Schweigen Ihrer Kollegen, was uns angeht, gerne mitgeben: Es gibt uns. Wir sind die, die jetzt den Menschen von Berufs wegen und bisweilen unbezahlt Kultur über alle Online-Kanäle geboten haben und bieten, jetzt, wo es schwierig ist. Weil wir es können, weil wir vor allem nicht anderes können und weil wir nicht verschwinden wollen. Wir wollen es auch in Zukunft nicht.

Wir möchten uns in Erinnerung rufen. Wir sind da. Wir möchten Ihnen sagen: Sie dürfen uns ansprechen und uns beim Namen nennen. Mehr noch: Wir möchten, dass Sie uns zuhören. Wie den Wirtschafts- und den Tourismusverbänden, der Gastronomie, der «swiss» oder «Edelweiss».

Bleiben Sie gesund. Wir versuchen es auch.  

Freundliche Grüsse,

Monica Cantieni

Hier das ganze Tagebuch von Monica Cantieni (bis und mit 30. April)

#stayathome #literaturstream #aargauerliteraturhausimnetz

Monica Cantieni an ihrem Computer.

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